Anfang der 1980er Jahre sagte die ungarische Polizei dem organisierten Verbrechen den Kampf an. Die Ermittlungen in diesem Zusammenhang gingen unter dem Begriff «Prestige-Fall» in die Polizeigeschichte ein.

Im Verlauf dieses Prestige-Falls stand 1983 ein Mann von eher geringer Körpergrösse vor Gericht: Ferenc Domàk. Wegen seinen roten Haaren war er in der Unterwelt Budapests hauptsächlich unter dem Spitznamen Zinnober (Ungarisch: Cinóber) bekannt. Zinnober stammte, wie auch der in einem früheren Artikel erwähnte Gangster Béla Markó, aus dem IX. Bezirk von Budapest. Er lebte an der Üllői Strasse, ganz in der Nähe des Hauses, in dem auch ich eine Zeit lang wohnte. Er war ein Zuhälter und Hehler, später auch Dealer, der seine Geschäfte im von Verbrechern stark frequentierten Café Omnia abwickelte. Im Prestige-Fall konnte ihm das Gericht Hehlerei nachweisen, wofür er eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren absitzen musste.

Dem breiten Publikum wurde Zinnober 1989 bekannt, als er im berüchtigten Dokumentarfilm mit dem Titel K2 in Erscheinung trat. Der Film handelte von der Prostitution im Budapest jener Zeit. K2 zeigte Zinnober im Dialog mit einer Prostituierten, wobei er sie zu überzeugen versuchte, für ihn zu arbeiten. Im Gespräch rühmte er sich seiner hervorragenden Kontakte zur Polizei.

Ich frage mich bis heute, ob ich Zinnober jemals persönlich begegnet bin, kam er mir im Film doch sehr bekannt vor. Ob wir uns tatsächlich jemals über den Weg liefen, oder ich nur darum dieses Gefühl habe, weil zu dieser Zeit alle Ganoven der Gegend auf eine bestimmte Art und Weise gleich aussahen, werden wir nicht mehr herausfinden. Cinóber wurde nämlich am 18. Dezember 1996 vor seinem Wohnhaus erschossen. Ich selbst bin hier unzählige Male vorbeigegangen.

Zinnober wurde im Zuge des ungarischen Mafia-Krieges der 90er Jahre getötet. Es war die Zeit, als der brutalste aller Budapester Bosse Tamás Portik eine Mafia-Organisation im Stile der amerikanischen Filme aufbauen wollte. Portik liess damals jeden aus dem Weg räumen, der ihm auch nur ansatzweise gefährlich werden konnte oder sonst im Weg stand.

Zinnober hatte nicht nur gute Kontakte zur Polizei, sondern war auch in der ungarischen Unterwelt hervorragend vernetzt. Er kannte jeden, der in diesen Kreisen eine relevante Rolle spielte. Trotzdem mag es verwundern, dass der mächtigste Mafioso des Landes mit einem verhältnismässig kleinen Ganoven auf diese Art und Weise abrechnete. Portik liess Zinnober durch seinen Auftragskiller Jozef Roháč mit zwei Kopfschüssen hinrichten. Manche behaupten, Zinnober sei sein Wissen über die Geschäfte Portiks zum Verhängnis geworden, denn er habe den Boss erpresst. Anderen Aussagen zufolge schuldete Cinóber dem Paten Portik 100 Millionen Forint. Diese konnte er aber, trotz einer vorangehenden Aufforderung, nicht zurückzahlen. Portik wollte mit dieser Exekution ein Exempel statuieren.

Zinnober hinterliess eine Frau und drei Kinder.

Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm K2 (Ungarisch): Zinnober im Gespräch mit einer Prostituierten.