Wer die Kräfteverhältnisse der ungarischen Unterwelt in den 1990er Jahren verstehen will, kommt nicht umhin, sich mit dem illegalen Business «Oil Bleaching» zu beschäftigen. Durch diese Machenschaften finanzierte sich die einheimische Mafia über viele Jahre hinweg. So war es auch möglich, dass aus dem einst kleinen Ganoven Tamás Portik, der sich in den 80er Jahren noch durch das Aufbrechen von Telefonkabinen über Wasser hielt, bereits ein paar Jahre später der gefürchtetste Unterweltboss des Landes wurde.

Wie die Betrügereien ihren Anfang nahmen

Um die Funktionsweise des Oil Bleachings der 1990er ergründen zu können, müssen wir bis ins Jahr 1958 zurückreisen. In jenem Sommer stellte der Staatsbetrieb «Mechanische Werke» seine erste in Grossserie produzierte Ölheizung vor, die für Privathaushalte geeignet war. Anfang der 60er Jahre erhöhten sich die Gasöl Lagerbestände Ungarns, was einerseits auf das Wachstum der inländischen Förderung und andererseits auf günstige Importe aus der Sowjetunion zurückzuführen war. So erschien es aus planwirtschaftlicher Sicht als logisch, den Privatverbrauch des Rohstoffs anzukurbeln. Da sich zu jener Zeit noch wenige Dieselfahrzeuge in privater Hand befanden, geriet der Vertrieb von Ölheizungen in den Fokus der staatlichen Wirtschaftsplaner.

Tankstelle in Siófok 1959 (Bildquelle: Fortepan)

Die damalige staatliche Ölgesellschaft ÁFOR hob im Jahr 1966 sämtliche Beschränkungen für den Konsum von Heizöl auf, wodurch es jedem in unbegrenzter Menge zur Verfügung stand. Darüber hinaus organisierte die Gesellschaft auch die Hauslieferungen des Rohstoffs. Ausserdem konnte man das Heizöl an denselben Tankstellen kaufen, wo man das herkömmliche Gasöl für Fahrzeuge besorgte.

Als drei Jahre später Ölheizungen bereits sehr verbreitet waren, subventionierte der Staat aus sozialen Gründen das Heizöl (HTO) zu dreissig Prozent. Wenn jemand das Produkt aus derselben Säule als Gasöl für das Fahrzeug tankte, konnte er diese Vergünstigung aber nicht in Anspruch nehmen und musste um einen Drittel mehr bezahlen. Aufgrund dieser Verfügung erhöhte sich der Verbrauch von HTO innerhalb eines Jahres um das zehnfache auf fünfhunderttausend Tonnen, während sich der Gasölverbrauch lediglich um das anderthalbfache verbesserte. Während die Anzahl der entsprechenden Verkaufsstellen im Land damals noch 1’500 betrug, waren es 1973 bereits 3’500. Und somit nahmen die Probleme ihren Anfang.

Das zentrale Gremium der Regierungspartei MSZMP verlangte 1975 von bestimmten staatlichen Organisationen, einen Plan zur Senkung ihrer Energiekosten vorzulegen. Da diese Bestimmung lediglich eine Kostensenkung verlangte, aber nicht die Minderung der verbrauchten Menge der Energieträger, willigten die Führungsetagen der entsprechenden Unternehmungen gerne ein. Da das HTO-Heizöl mit dem wesentlich teureren Gasöl völlig identisch war, begannen mehrere Staatbetriebe damit, Heizöl für ihre Fahrzeuge und Arbeitsmaschinen zu benutzen. Zumal es zu dieser Zeit immer noch eine sehr geringe Anzahl Dieselfahrzeuge in Privatbesitz gab, ahnte damals noch niemand, welche schwerwiegenden wirtschaftlichen Konsequenzen dieser Sachverhalt nach sich ziehen würde.

Tankstelle in Budapest im Jahr 1989 (Bildquelle: Fortepan)

Ausgerechnet in der Bundesrepublik Deutschland, die damals als eines der reichsten Länder Europas galt, wuchs der Betrug mit dem Gasöl zu einer regelrechten Industrie heran. Mitte der 70er Jahre lag der Preis von HTO ebenfalls weit unter demjenigen des Gasöls. Da in der BRD bereits eine grosse Diesel-Population existierte, erscheint die Entstehung dieser Betrugsmasche rückblickend als wenig überraschend. Aus diesem Grund war die BRD das erste Land, in dem das günstige HTO vom teureren Gasöl durch eine Rotfärbung des ersteren unterschieden wurde. Ausserdem wurde dem HTO eine besondere Chemikalie hinzugefügt, die nur im Labor nachgewiesen werden konnte. Die Polizei begann mit strengen Fahrzeugkontrollen und wer erwischt wurde, musste mit drakonischen Strafen rechnen. So war es nur eine Frage der Zeit, bis Camion Chauffeure die Kunst des Gasölbetrugs auch nach Ungarn brachten.

Anfang der 80er Jahre war Gasöl in Ungarn zu drei verschiedenen Preisen erhältlich. Das günstige Heizöl kostete vier Forint, das als Kraftstoff verkaufte Gasöl 10 Forint, und wenn jemand mit einem ausländischen KFZ-Kennzeichen das Produkt kaufte, bezahlte er dafür 20 Forint. Und so begann im Land die Betrugsmasche: Obwohl ausländische Chauffeure nur gegen Fremdwährung und an der Grenze gelösten «Ölscheine» tanken durften, lösten windige Betreiber von Tankstellen dieses Problem auf ihre Weise. Sie füllten anhand gefälschter HTO-Anträge die Tankwagen inländischer Transportunternehmer mit dem rot gefärbten Öl und verkauften dies als Kraftstoff an die ausländischen Lastwagenfahrer. Hierfür trafen sich die Fahrer aus dem Ausland mit den inländischen Transporteuren an einem sicheren Ort. Sie bezahlten für das gefärbte Öl mehr als den offiziellen Heizölpreis, aber immer noch deutlich weniger als sie für den Kraftstoff hätten berappen müssen. Den Gewinn aus dem Geschäft teilten die Täter unter sich auf.

Das Ausmass des Betrugs lässt sich daran ablesen, dass an dem illegalen Business beteiligten Tankstellen der HTO-Verbrauch höher war, als in ganz Budapest verheizt wurde. Zu dieser Zeit betrug das Volumen des Gasölbetrugs 600 Millionen Forint, was damals als eine sehr hohe Summe betrachtet wurde. Dies war allerdings noch nichts im Vergleich dazu, was durch dieses Business nach der politischen Wende verdient werden konnte. Das grosse Geschäft mit dem Oil Bleaching begann mit der Privatisierung der Ölimporte. Der Ölimport war nicht länger ein Staatsmonopol und auch die Anzahl Dieselfahrzeuge nahm in Ungarn dramatisch zu. Zu dieser Zeit entstand die sogenannte Öl-Mafia, welche die Unterwelt der 90er Jahre bestimmte.

Nach der politischen Wende

Die Verzollung von Ölimporten an der Grenze lief damals nach einem bestimmten Schema ab. Wenn das eingeführte Öl als Heizöl deklariert wurde, gossen die Beamten das rote Färbemittel in den Tankwagen oder Zugwaggon. Mittlerweile war aber der Handel mit Heizöl gesetzlich stark eingeschränkt worden. Pro Haushalt durfte nur eine der Wohnungsgrösse entsprechende Menge HTO eingekauft werden und auch dafür wurde ein Bezugsschein benötigt. Ausserdem war es nun verboten, an einer Tankstelle gleichzeitig Kraftstoff und Heizöl zu verkaufen.

Die Ungarn waren schon immer erfinderische Menschen. Und dies gilt insbesondere für die einheimische Unterwelt, die sich immer wieder überraschend innovativ und anpassungsfähig zeigt. So war es auch bei dem mittlerweile eingeschränkten illegalen Geschäft mit dem Heizöl. Eine neue Idee war nötig, idealerweise etwas noch besseres. So entstand der Prozess des Oil Bleachings.

Ungarische Tankstelle 1990 (Bildquelle: Fortepan)

Das illegal behandelte Öl verursachte immense Schäden

Nach dem Grenzübergang wurde das rote Öl an einen geheimen Ort gebracht, wo das Färbemittel anhand Schwefelsäure unsichtbar gemacht wurde. Das nun «saubere» Gasöl wurde unter der Hand an private Tankstellenbetreiber verkauft oder ab dem Tankwagen direkt an Kunden veräussert. Im besten Fall entfernten die Täter die durch die Schwefelsäure entstandenen Rückstände, aber hierauf verschwendeten die wenigsten Zeit und Energie.

Es liegt schon fast in der Natur der Sache, dass sich die Verbrecher wenig dafür interessierten, dass durch das entstandene Gemisch die Fahrzeuge grossen Schaden nahmen. Zu jener Zeit waren einige Tankstellen dafür bekannt, dass man sie meiden musste, wenn man sein Auto nicht zerstören wollte. Auf dem Gipfel der Oil Bleaching Industrie wollten mehrere Autohersteller ihre Vertretungen in Ungarn auflösen, weil die Anzahl der durch das gepanschte Öl verursachten Garantiefälle ein inakzeptables Ausmass erreichte. Es gab Markenservicestellen, bei denen an einem einzigen Tag sechs Wagen wegen entsprechenden Ölschäden gemeldet wurden.

Mittlerweile wurden durch dieses verbotene Business Umsätze erwirtschaftet, die höchstens durch Drogengeschäfte gemacht werden könnten. So war es fast unvermeidlich, dass es innerhalb der ungarischen Mafia zu Konkurrenzkämpfen und tödlichen Abrechnungen kam. Die ursprünglich gutgemeinte Vergünstigung des Heizöls führte letztlich zum dunkelsten Kapitel der ungarischen Kriminalgeschichte.

Die ungarische Öl-Mafia

Wenn man von der ungarischen Öl-Mafia spricht, kommt man um einen Namen nicht herum: Tamás Portik. Das Nachrichtenportal HVG erfuhr in mehreren Interviews mit Menschen, die Portik von Früher kannten, dass der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Verbrecher seinen kometenhaften Aufstieg innerhalb des Organisierten Verbrechens seinem scharfen Verstand, seiner Gerissenheit und Tollkühnheit zu verdanken hatte. Als Kind war er in einem Erziehungsheim untergebracht und als Jugendlicher sass er im Gefängnis für Minderjährige in der Ortschaft Tököl. Er war Mitglied einer Bande, die sich darauf spezialisierte, die Münzbehälter von Telefonkabinen aufzubrechen. Seine Laufbahn begann der begabte Strassenkämpfer im Budapester Nachtleben als Türsteher. Bereits in seinen Zwanzigerjahren nahmen ihn die schweren Jungs der ungarischen Mafia als Gründungsmitglied der Aktiengesellschaft Energol auf. Dies geschah im Jahr 1994. Der Aufbau der Energol veränderte das Leben von Portik grundlegend, insbesondere in Bezug auf seine finanzielle Situation. Unter den Gründungsmitgliedern der AG befanden sich solch berüchtigte Namen der Unterwelt wie Attila Ferencsik oder Gábor Drobilich. Letzterer wurde für Tamás Portik zu einer Art Mentor.

Das Gefängnis für Minderjährige in Tököl im Jahr 1985 (Bildquelle: Fortepan)

Die von Gangstern gegründete Energol wurde zum Dreh und Angelpunkt des Oil Bleaching Geschäfts. Innerhalb kürzester Zeit verdiente die an der Firma beteiligte Bande Milliarden an Forint. Allerdings hob die Regierung 1995 den Preisunterschied zwischen Kraftstoff und Heizöl auf, und die Behörden leiteten bereits ein Jahr später nicht nur gegen Energol die Ermittlungen ein, sondern auch gegen weitere Unternehmungen im Umfeld der Aktiengesellschaft. Gegen den damals 29jährigen Portik, der bis dahin als ein Direktor der Firma fungierte, wurde im Oktober 1997 Haftbefehl erlassen. Dank seinen hervorragenden Verbindungen zu den Behörden konnte er aber rechtzeitig aus Ungarn verschwinden. Er schaffte es sogar, sein immenses Vermögen und seine Familie mitzunehmen. Portik lebte sechs Jahre lang in der Illegalität und niemand weiss bis heute, wo er diese Zeit verbrachte. Manche vermuten, er sei in den USA oder Südamerika gewesen, andere behaupten, er hätte Ungarn nicht verlassen und vermochte sich anhand seiner guten Kontakte zur Polizei so lange unbehelligt versteckt halten. Portiks Machenschaften im Oil Bleaching Business verjährten bereits im Jahr 2003. Er wurde von den Fahndungslisten gelöscht und kehrte als wohlhabender Unternehmer in die Öffentlichkeit zurück.

Portik war aber weitaus mehr als nur ein Wirtschaftskrimineller. Er gilt bis heute als der blutrünstigste aller Mafia-Bosse Ungarns, der für den Tod vieler Menschen verantwortlich ist. Sein wahnhafter Ehrgeiz liess in ihm den Plan entstehen, das Organisierte Verbrechen Ungarns im Stile der amerikanischen Mafia zu strukturieren. Sich selbst sah er als den Boss aller Bosse und wollte die gesamte Unterwelt des Landes unter sich vereinen. Der von ihm angezettelte Mafia-Krieg beeinflusste in den 1990er Jahren die gesamte Geschichte Ungarns. Heute sitzt Portik für schwerste Verbrechen im Gefängnis und wird für eine sehr lange Zeit nicht mehr freikommen. Die dunklen 90er Jahre und blutigen Abrechnungen innerhalb der Mafia bilden bis heute häufig Gesprächsstoff.

Es wird nicht mehr aufgearbeitet werden können, wer alles vom Oil Bleaching profitiert hatte. Viele Menschen wurden damals erfolgreich bestochen, damit das Geschäft ein solches Ausmass annehmen konnte. In dieser Zeit wurde so mancher Grundstein von heute riesigen Vermögen gelegt. Bis jetzt ranken sich viele Legenden und Gerüchte darüber, wer im Hintergrund alles am Ölgeschäft beteiligt war. In diesem Zusammenhang werden auch die Namen von hohen Beamten und Politikern genannt.

Video: Die Sondereinheit TEK nimmt Tamás Portik fest

Quellen:

Mit is jelentett pontosan az „olajszőkítés”? | szmo.hu (szeretlekmagyarorszag.hu)

Itthon: Portik Tamás kalandos élete | hvg.hu